Von Dieter Scholz und Martin Bucher
Stressige Situationen - die kennt wohl jede Familie. Die Zeit ist knapp, die Eltern werden unruhig und genau dann "funktionieren" die Kinder nicht mehr. Die Eltern erhöhen den Druck und werden lauter, die Kinder bocken, alle sind gereizt. Wer kennt das nicht?
Über den Stress in Familien und den Umgang damit haben wir mit unserem Familienberater Dieter Scholz gesprochen.
Dieter ist familylab-Trainer, zertifizierter Coach, Berater in der Familien-, Paar und Einzelberatung, Pädagoge und langjähriger Elternkursleiter und Referent für Erziehungsfragen und Kommunikation.
Dieter, wie können Eltern mit Stresssituationen besser umgehen, so dass diese nicht eskalieren?
Im Stress ist es wichtig, dass Eltern zunächst einmal den Stress des Kindes akzeptieren - also, dass nicht nur die Eltern gerade gestresst sind, sondern auch ihre Kinder jetzt Stress erleben!
Im Stress haben wir alle, aber besonders die Kinder, eine eingeschränkte Wahrnehmungs- und Aufnahmefähigkeit. Da bringt es wenig, dass Eltern auf die Kinder einreden. Es braucht nun Botschaften, welche die Kinder ihre Eltern gut verstehen lassen. Wichtiger als Worte ist Körpersprache, also welche Haltung habe ich dem Kind gegenüber, wenn mir was wichtig ist. Und erst dann die Worte. Aber da geht es immer um Ich-Botschaften. Kein "Du".
Manche Kinder halten sich auch die Ohren zu, wenn die Eltern auf sie einreden…
Ja, das ist eine oft unverstandene Gestik, die bei vielen Eltern die Wut hochkochen lässt. Dabei sagen die Kinder im Grunde nur: „Was du sagst, das ist mir zu viel, das macht mir Stress“. Die Kinder halten sich also die Ohren zu, um sich zu schützen. Es ist wichtig, dass die Eltern das verstehen, dass es nicht gegen die Eltern gerichtet ist.
Jetzt ist es wichtig, sich als Eltern zu stoppen und zu versuchen, nicht in die Stressspirale einzusteigen, damit das Kind sich auch beruhigen kann. Denn gestresste Eltern sind für Kinder, wenn sie selbst gestresst sind, nur schwer auszuhalten. Kinder kommen ansonsten überhaupt nicht aus ihrem eigenen Stress heraus. Sie brauchen ihre Eltern als Co-Regulatoren. Dadurch lernen Kinder über die Eltern ihren eigenen Stress zu regulieren.
Ich möchte noch einmal auf das, was du eingangs gesagt hast, zurück kommen. Du meintest, nur „Ich-Botschaften“, kannst du das noch etwas ausführen?
Ja gern. Bei Du-Botschaften der Eltern geht es in Stresssituationen meistens darum, was das Kind falsch gemacht hat, es geht um Schuld und so weiter. Es ist mir sehr wichtig den Eltern deutlich zu machen: Das ist nicht Schuld des Kindes, aber auch nicht deine Schuld!
Nur: Du hast die Verantwortung für die Situation, die hast du als Mutter oder Vater, nicht das Kind. Deshalb ist es wichtig, nicht die Schuld beim Kind zu suchen, dass dann die Erfahrung macht, dass es falsch ist, sondern den Blick auf das zu richten, was schwierig ist in der Situation. Was löst Stress in mir aus, was löst Stress im Kind aus - und wie gehe ich dann mit der Stresssituation um. Und nicht die Verantwortung dem Kind zu geben. Als die Eltern selbst kleine Kinder waren haben sie oft genug erlebt, dass sie falsch seien. Also ist die Frage heute: wie löse ich das?
„Wenn Eltern den Stress des Kindes nicht aushalten, dann können die Kinder den Stress auch nicht aushalten"
Du meinst, weil die jetzigen Eltern durch ihre eigenen Kindheit keinen guten Umgang mit Stress gelernt haben, fällt es ihnen heute so schwer?
Ja genau. Stresssituationen auszuhalten, das können Kinder nur von Eltern lernen.
Sie sind Vorbilder. Wenn Eltern den Stress des Kindes nicht aushalten, dann können die Kinder den Stress auch nicht aushalten. Da haben die Eltern durch ihre eigenen Kindheit oft nicht viel mitbekommen. Deshalb ist es ja auch so schwierig - die Eltern wollen es anders machen und müssen sich das nun selbst erarbeiten. Und das den Eltern deutlich zu machen: Jetzt könnt ihr viel lernen! Also miteinander, Mann und Frau und gleichzeitig aber auch von und mit den Kindern.
In Stresssituationen lernen wir sehr viel über uns aber auch die Kinder über sich selbst. Eltern sind hier wichtige Vorbilder. Kinder schauen sich von den Eltern den Umgang mit Stresssituationen ab.
Das heißt, die Eltern sind ganz wichtig für die Kinder, weil: wenn Kinder Erfahrungen machen mit den Eltern, dann hat es bestimmte Auswirkungen. Und das zeigt sich eben oft in Stresssituationen.
Du hast nun schon einiges gesagt, was sich auch in den Werten von Jesper Juul spiegelt, wie das Kind nicht falsch machen und Ich-Botschaften senden. Welche Werte von Jesper Juul sind dir noch wichtig in Stresssituationen?
In Stresssituationen helfen die Werte von Jesper sehr. Ganz wichtig ist, wie ich schon gesagt habe, die Integrität des Kindes zu wahren. Also das Kind nicht falsch machen. Die Schuld nicht beim Kind suchen, sondern zu schauen, welche Bedürfnisse habe ich als Vater oder Mutter, diese dem Kind als Ich-Botschaft mitzuteilen und welche Bedürfnisse hat das Kind. Und sich dann diese anzuschauen. Und da gibt es keine falschen oder richtigen, alle Bedürfnisse sind ok und dürfen sein. Das nannte Jesper Gleichwürdigkeit, also dass keiner falsch ist, gerade in einem Konflikt, und von jedem seine Bedürfnisse berechtigt sind. Und auch, dass die Eltern die Verantwortung für die Situation übernehmen und authentisch sagen, was ihnen wichtig ist, persönlich wichtig ist in der Situation. Und welche Erwartungen habe ich an mich, an das Kind und so weiter. Das kann dann helfen, die Knoten zu lösen. Weil wenn es Stresssituationen gibt, fühlt sich nie gut an.
Ist das grundsätzlich so, oder wie unterscheidet sich das Verhalten im Stress abhängig vom Kindesalter?
Wenn die Kinder noch in der Kita bis zweieinhalb Jahren sind, da sind die Kinder in der Regel alle brav. Nur wenn sie dann ein eigenes Bewusstsein haben, ein eigenes Ich, dann gibt es die Konflikte, dann stoßen die Bedürfnisse und Gefühle der Kinder mit denen der Eltern zusammen.
Ein ganz wichtiges Lernziel ist die Inhibition - also, wie kann ich diesen Impuls kontrollieren, der in mir hoch kommt. Kinder unter zweieinhalb Jahren können das noch nicht. Deshalb ist es für Eltern wichtig zu wissen, wo das Kind in seiner Entwicklung steht und was es denn überhaupt kann.
Plädierst du also für eine stressfreie Familie?
Nein, die Atmosphäre darf ja durchaus sein, dass Papa oder Mama gestresst sind, das ist in Ordnung. Nur das Kind muss sich nicht schuldig fühlen dafür. Und deshalb ist es besser, authentisch zu sein. Authentisch zu sein und sich selbst zu zeigen. Diese Chance wahrzunehmen, das versuche ich mit den Eltern zu erarbeiten. Da gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern dann gibt es nur ein „Was ist da?“, „Wer bist du?“, „Wer ist mein Kind?“ und so weiter. Und das zu verstehen.
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