Ich übe mich schon eine Weile in der Praxis der "radikalen Akzeptanz". Und darf immer wieder feststellen, dass es nach wie vor noch mehr für mich darüber zu erfahren gibt. Dass es für mich immer noch weiter und tiefgründiger geht.
Was bedeutet radikale Akzeptanz?
Radikale Akzeptant ist die Bereitschaft, unsere Realität anzunehmen, wie sie gerade ist - im Angenehmen wie im Unangenehmen. Wir gehen in den Prozess der Loslösung von dem Gedanken "Es sollte anders sein, als es ist" und hören auf mit dem, was ist, zu hadern.
Wenn wir unsere Realität nicht mehr verändern wollen, kann die Radikale Akzeptanz ein Lernfeld werden, um uns klar zu machen, was wir in Zukunft stattdessen erleben wollen und was wir dafür tun können.
Das bedeutet nicht, dass wir unsere Realität gut finden müssen! Denn selbst unsere Wertung darf mit in die Akzeptanz. Deswegen heißt sie auch "radikale" Akzeptanz: weil einfach alles sein darf, unsere äußere Situation sowie unsere innere Situation in Form von Gedanken, Wertungen und Emotionen. Nur eben so, dass wir wirklich alles da sein lassen. Es ist ein interessiertes und waches Erforschen von dem, was abläuft - auch in uns.
Wie funktioniert Radikale Akzeptanz?
Ein prägender und bewegender Aha-Moment mit der Radikalen Akzeptanz war, als ich als Familienberaterin ein kleines Mädchen durch ihren Schmerz begleiten durfte. Und ja, ihr lest richtig, ich durfte es, denn es war ein Geschenk für uns beide!
Aus meiner Beraterpraxis heraus weiß ich natürlich, wie wichtig es ist, ein Kind in seinen Emotionen anzunehmen und liebevoll zu begleiten. Dies habe ich schon oft getan und kenne die guten Ergebnisse solch einer Begleitung. Doch diesmal war etwas anders!
Mein Fokus stand nicht darauf, das Kind zu beruhigen. Ich wollte kein bestimmtes Ergebnis erzielen. Statt dessen ließ ich mich ein auf einen Prozess der Erlaubnis, das Mädchen so sein zu lassen, wie es gerade war.
Ich setzte mich zu ihm auf den Boden und ging in die Haltung der radikalen Akzeptanz. Das Mädchen krabbelte weinend von meiner Seite weg und setze sich mir gegenüber.
Ich spürte seine Trauer und ließ diese durch mich hindurch fließen. Wie schon so oft, wenn ich diese Praxis bei mir anwende, entrang sich mir ein tiefer Seufzer. Fast gleichzeitig entspannte sich das Mädchen und sah mich mit großen und verwunderten Augen an.
Und ja, es war ein Wunder! Wir beide verstanden uns ohne Worte. Wir waren verbunden im gleichen fühlenden Raum. Wir teilten die gleiche Erfahrung, wie Emotionen sich auflösen, wenn sie sein dürfen und gehalten werden. Wenn wir ihnen einen sicheren vertrauensvollen Raum geben, in dem sie mit dem Herzen verstanden werden - ohne mit ihnen zu hadern und so Leid erzeugen zu müssen.
Was bewirkt Radikale Akzeptanz?
Radikale Akzeptanz, wenn wir uns wahrhaftig darauf einlassen, resultiert immer in Frieden. Wir können durch sie unser Urvertrauen wiederfinden und unsere Wurzel stärken. Dadurch kommen wir immer mehr in eine innere Verbindung mit uns selbst, in der wir in immer größerem Selbstgewahrsein nicht nur in uns selbst Heimat finden, sondern vor allem auch mehr und mehr unsere Projektionen erkennen, verstehen und verändern können.
Dadurch werden wir klarer. Unsere Beziehungen zu unseren Kindern und anderen Mitmenschen vertiefen sich über das verletzte Ego hinaus.
Ein Faktor, der Trauma erst manifestiert, ist eben genau der Punkt: dass wir durch die Emotionen, die es hinterlässt, nicht begleitet werden, dass sie nicht erwünscht, bzw. bitte schnell beseitigt werden sollen.
Darf ich mich durch den Schmerz, die Ohnmacht, die Angst und die Wut befreien? Wenn ich damit sein darf, gemeinsam mit Menschen, die dies bezeugen, dann kann das ein erster Schritt zur Heilung sein.
Radikale Akzeptanz erlaubt uns, mit unseren Emotionen in Kontakt zu kommen und diese fließen zu lassen. Alles, was fließt, ist in Bewegung und alles, was in Bewegung ist, ist in einem Prozess der Veränderung. Alles was fließt, fühlt sich gehört, verstanden und kann so seinen Fokus auf etwas Neues richten. Die Emotion hat ihre Arbeit getan. Sie hat ihre Botschaft so vermittelt, dass sie im Bewusstsein angenommen ist und Maßnahmen ergriffen werden können.
So organisiert sich unser System oft wie von selbst: dann wenn wir es sein lassen. Wichtig ist, dass wir nicht die Emotion sind, sondern sie als etwas in uns wahrnehmen. Etwas, uns eine Botschaft überbringt. Dann können wir gleichzeitig der Raum und der Bezeuger werden und so einen gesunden Umgang mit unseren Emotionen erfahren und etablieren.
Ein weiterer Vorteil ist, dass unser Selbstgefühl gestärkt wird, so dass wir unsere Bedürfnisse, Grenzen und Werte besser erspüren und definieren lernen.
Diese Klarheit spiegelt sich in unserer Haltung und führt dazu, dass wir uns selbst ernster nehmen und von anderen ernster genommen werden. Wenn ich weiß, was ich will, kommuniziere ich dies auch über meine Körpersprache und setze meinen Fokus darauf.
Fazit - Was bringt Radikale Akzeptanz?
Radikale Akzeptanz, richtig angewendet, führt mit der Zeit in die Selbstermächtigung und zu einem Fokus auf das, was wir wirklich wollen.
Mit dieser Haltung leben wir unseren Kindern zum einen vor, wie wir Emotionen in guter Weise regulieren und verarbeiten können. Zum anderen, wie wir mehr und mehr zum Gestalter unseres Lebens werden.
Außerdem werden wir innerlich ruhiger und können unsere Kinder leichter durch ihre Emotionen begleiten und sie co-regulieren. Gerade wenn Kinder von ihren Empfindungen überfordert sind, ist diese Art der Co-Regulation eine heilsame Erfahrung, in der wir ihre Emotionen in uns aufnehmen und sie für unsere Kinder mit regulieren und umgewandelt wieder zurückgeben.
Wichtig! Es ist ein Prozeß und braucht Übung, in dem ihr euch liebevoll selbst annehmen dürft. Doch es lohnt sich!
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Über die Autorin
Hallo, ich bin Aud. Ich berate im Team von online-familienberater.
Geboren bin ich 1970 und lebe in Frankfurt am Main. Ich habe zwei Töchter großgezogen (1997, 2002) und viele Jahre U3 Kinder betreut.
Ausgebildet bin ich als familylab Familienberaterin, Trainerin sowie Dialogprozessbegleiterin "Eltern stärken". Seit vielen Jahren begleite und unterstütze ich Familien darin, in ihre Kraft zu kommen.
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