Die Beziehung zwischen Großeltern, Eltern und Enkeln ist mit Erwartungen, unausgesprochenen Regeln und Rollen bestückt. Obwohl sie mit tiefem Respekt und Wärme gefüllt sein könnte, bietet sie doch oft eine Bühne für Diskussionen über Erziehungsmethoden und "richtiges" Verhalten.
Und mitten drin stehen die Kinder und blicken verwundert auf die Erwachsenen, die es ja eigentlich alle nur gut mit ihnen meinen.
Warum es plötzlich kompliziert wird
Schule, Lehre/Studium, Auszug, Zusammenziehen, Schwangerschaft … in etwa so läuft es häufig bei vielen ab. Und die Nähe zu den eigenen Eltern wird dabei nicht selten zunehmend distanzierter. Man begibt sich auf seine eigene Reise.
Doch werden wir selbst Eltern, erkennen wir, dass unsere eigenen Eltern – die frisch gebackenen Großeltern – nicht plötzlich alles vergessen haben, was sie uns versucht haben beizubringen. Wir merken, wie stark wir uns von ihnen abgegrenzt haben und das bisherige Familiengefüge infrage stellen. Wir haben unsere eigenen Werte und Vorstellungen entwickelt. Das ist gesund und gehört zum Erwachsenwerden dazu.
Doch diese Abgrenzung kann auch Spannungen erzeugen, gerade dann, wenn wir versuchen, unser Bild der "richtigen" Erziehung mit eiserner Entschlossenheit zu wahren und alles zu kontrollieren. Es liegt nahe, dass wir uns dabei selbst die Erlaubnis nehmen, mal durchzuatmen und es auch den Großeltern zu ermöglichen, auf ihre Weise mit den Enkeln umzugehen.
Großeltern als Bereicherung
Was wäre, wenn wir für einen Moment aufhören würden, Großeltern als schwierig und als Hindernis zu betrachten, das wir in Schach halten müssen? Können wir sie auch anders sehen?
Sie haben eine Lebensweise entwickelt, die zu ihrer Zeit und zu ihren Umständen passte und gewissermaßen notwendig war. Häufig haben sie Erfahrungen gesammelt, die ihnen ermöglichen mittlerweile gelassener zu sein und aus Elternsicht, vielleicht auch mal über die Stränge schlägt und das eine oder andere Stück Kuchen zu viel genehmigt. Sie leben nicht immer nach unseren Vorstellungen – aber sollten Kinder immer nur eine Perspektive erleben?
Tatsächlich sind es die Eigenarten und Macken der Großeltern, die diese Beziehung so liebenswert machen. Wie prägend, wenn mein Großvater morgens schweigend am Frühstückstisch saß und in Ruhe seine Zeitung lesen wollte. Meine Oma dafür schon morgens singend in der Küche den warmen Kakao vorbereitete. Meine andere Großmutter, die portionengenau kochen konnte und für Quatsch keinen Sinn hatte (was mir als Kind immer schwerfiel, davon abzulassen), ich aber heute spüren kann, wie in ihrer ganz eigenen Art Fürsorge und Liebe für mich steckte.
Niemand ist perfekt, und genau darin liegt eine Schönheit. Sie haben einzigartige Facetten, die oft schmerzlich vermisst werden, wenn sie eines Tages nicht mehr da sind. Kinder profitieren davon, dass sie bei den Großeltern ein anderes Zuhause finden, das nach anderen Regeln funktioniert und in dem sie sich anders erleben können. Denn genau dieser Unterschied, diese Vielfalt, ist stärkend. Kinder lernen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Dinge anzugehen, und dass man in Liebe und Akzeptanz verschieden sein darf.
Grenzen setzen, ohne das Vertrauen zu zerstören
Es ist natürlich eine Sache, loszulassen, und eine andere, Kinder vor negativen Erfahrungen zu schützen. Schon bei Erziehungsversuchen mit Sätzen wie „Wie heißt das Zauberwort?“, „Ich will die richtige Hand zur Begrüßung!“ reagieren viele Eltern genervt, und in anderen Situationen fragen sie sich: Wie weit darf ich das gehen lassen?
Die Antwort liegt in der Fähigkeit, Grenzen zu kommunizieren – und zwar auf eine respektvolle, verbindliche Weise. Kinder sollten wissen, dass sie bei Oma und Opa genauso "Nein" sagen dürfen, wenn sie sich in etwas unwohl fühlen, wie bei ihren Eltern. Wenn ein Kind beispielsweise keine Umarmung oder einen Kuss möchte, dann ist das okay – und Eltern können Großeltern ermutigen, das zu respektieren.
Indem wir die Grenzen achten und auf Bedürfnisse hören, stärken wir nicht nur das Kind, sondern auch die Beziehung zu den Großeltern. Diese klare, liebevolle Abgrenzung verhindert, dass aus einer Beziehung des Vertrauens eine Beziehung des Misstrauens wird, und nimmt allen Beteiligten den Druck.
In Situationen, in denen es trotz aller Bemühungen schwierig ist, eine gemeinsame Basis zu finden, kann es jedoch ratsam sein, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gerade wenn fundamentale Ansichten zwischen Eltern und Großeltern über Erziehungsfragen oder Werte immer wieder zu Spannungen führen, kann eine neutrale Begleitung helfen, die Sichtweisen auf beiden Seiten zu klären und mögliche Lösungen zu erarbeiten. So werden festgefahrene Konflikte entschärft, und alle Beteiligten können die Beziehung zu den Enkeln unbeschwerter genießen.
Loslassen als Eltern ist eine Form der Liebe
Elternschaft bedeutet oft, sich in einem ständigen Zustand der Wachsamkeit zu befinden. Doch Kinder spüren, wenn wir verkrampfen. Wenn wir an jeder Kleinigkeit herummeckern und uns in jeden Moment einmischen, berauben wir unsere Kinder der Chance, sich auch mal einfach fallen zu lassen – in die Arme ihrer Großeltern, die vielleicht anders sind, die vielleicht ein bisschen großzügiger mit den Süßigkeiten sind, und die vielleicht auch ein bisschen weniger Regeln durchsetzen.
Und wenn wir ehrlich sind: Sind es nicht gerade diese kleinen, unscheinbaren Erinnerungen, die uns später als Erwachsene an unsere eigene Kindheit denken lassen? Die Sonntage bei der Oma, die ein bisschen anders roch, die immer einen besonderen Kuchen bereitstellte, und die uns einfach mal so sein ließ, wie wir waren?
Vertrauen statt Einmischung
Eltern können ihre Kinder stärken, indem sie ihnen erlauben, in die Beziehung zu den Großeltern einzutauchen. Ja, diese Beziehung ist anders. Und das ist gut so.
Vertrauen bedeutet nicht, dass alles so läuft, wie wir es uns vorstellen. Vertrauen bedeutet, sie werden schon ihren Weg machen! Großeltern sollten nicht als Gegner gesehen werden, die unsere Ansätze untergraben, sondern als Menschen, die in ihrem eigenen Tempo einen eigenen sicheren Hafen schaffen, der Kinder auf eine Weise stärkt, die Eltern oft nicht können.
Elternsein bedeutet, auch loslassen zu können, wenn die Großeltern übernehmen – mit all ihrer Gelassenheit, ihrem Wissen und ihrer bedingungslosen Liebe.
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Über die Autorin
Ich bin 1981 geboren und Mutter von zwei Töchtern. Die jüngere lebt bei mir, die ältere hatte eine Erkrankung und ist 2008 gestorben, kurz vor ihrem dritten Geburtstag.
Ich bin Elternbegleiterin, familylab-Seminarleiterin, Dialogprozess-Begleiterin und habe eine Ausbildung in analytischer Gestalttherapie.
Seit 2009 bin ich in der U3 Kinderbetreuung selbstständig tätig. Zusätzlich bin ich als Dozentin in der Erwachsenenbildung beschäftigt und biete darüber hinaus seit 8 Jahren dialogische Eltern-Seminare an.
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