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Befreiung von dem Inneren Drama

Frau mit psychischen Problemen

 

„Jetzt muss ich endlich nicht mehr ins Drama gehen“

...ach das wäre schön und ja, es ist möglich!

 

Als ich noch mit dem „Partner Alkohol“ lebte, war ich immer wieder „Dramaqueen“. Mein Leben fühlte sich an wie ein Drama, ich hatte kaum Möglichkeiten, den Kriegsschauplätzen meiner Gedanken zu entkommen. Seit zehn Jahren nun räume ich mich auf (habe den Alkohol endgültig aus meinem Leben entlassen), leuchte jede auch noch so dunkle und scheinbar versteckte Ecke aus, gehe mit dem „unRat“ um, der sich dort angesammelt hat, um ihn in wertvolles Erfahrungsgut zu verwandeln. All das, was ich heute nicht mehr benötige, lasse ich da, wo es hingehört, in der Vergangenheit.

Unterwegs gab es sehr viele Schmerzen zu ertragen und ja, allzu oft bin ich in dem einen oder anderen Drama hängen geblieben. Heute findet das Hängenbleiben nicht mehr statt, weil ich mich nicht mehr in dieser scheinbar unüberwindbaren Not befinde.

 

Die Not hieß Ausgeliefertsein. Ja, ich war meinen Gedanken ausgeliefert, die jeweils wieder und wieder für Emotionen sorgten, die dann wiederum neue Gedanken schufen, die schließlich Emotionen verstärkten... Ein Kreislauf des Elends - ein mich Aufhalten im Drama.

 

Im Drama hatte ich mich meisterhaft eingerichtet. Schließlich war ich von klein auf zur Expertin desselben geworden. Meine Überlebensstrategie bestanden darin, nach außen zu brillieren, stark zu sein und nur im Innen zu straucheln, sozusagen heimlich still und leise. Das Straucheln wiederum dämpfte ich mit Alkohol, der mich allzu oft ganz tief in mein selbst inszeniertes Drama hinein führte und dafür sorgte, dass mich das Aufrechterhalten meiner Fassade am nächsten Tag noch mehr Kraft kostete.

 

 

Kurzer historischer Blick auf mein Leben...

Wo waren denn meine Vorbilder? Von wem konnte ich einen gesunden Umgang mit mir selbst erlernen? Weder im Elternhaus (1962 geboren), noch in der Schule konnte ich Menschen finden, an denen ich mich hätte orientieren können, körperliche Züchtigung wurde durchaus noch angewandt und die Frauen mussten bis 1977 ihren Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollten. Es zählte Leistung und unhinterfragter emsiger Einsatz für das „Wirtschaftswunder“. Nichts von dem, was mir vorgelebt wurde wirkte in sich stimmig, die Erwachsenen gaben sich weder in sich ruhend, noch lebensfroh.

 

Und heute? Da sind jetzt auf einmal viel zu viele Ratgeber um uns herum, menschliche, gedruckte, virtuelle und dann tobt da auch noch der eigene strenge innere Kritiker. Alle wissen es besser und besonders junge Eltern fühlen sich oft hilflos und können sich bei der Flut an Informationen und Anforderungen an eine gelingende Elternschaft oft gar keine Zeit mehr dafür nehmen zu schauen, wer sie selbst eigentlich sind, wie sie selbst in der Gegenwart ticken und was sie sich persönlich wünschen für das angestrebte „Gelingen“. Jesper Juul hat es einmal sehr schön formuliert: „am liebsten würde ich den Eltern in den ersten zwei Lebensjahren ihres Kindes das Lesen von Fachliteratur verbieten.“

 

 

Also immer wieder Zurückspulen auf Anfang:

Wer bin ich und wenn ja wieviele? Ich kann nur „Leitwölfin“ sein, wenn ich selbst klar bin. Nur dann kann ich überhaupt eine Haltung entwickeln, die mir selbst und den mir anvertrauten Menschen als Orientierung dienlich sein kann. Welches Lebewesen, würde einer Leitfigur folgen, die sich selbst orientierungslos fühlt?

 

 

 

Wie soll das also gehen? Die Gedankenregulation?

Okay, es fing tatsächlich kleinteilig an und ja, es ist teilweise wie beim Sport, oder beim Erlernen eines Musikinstrumentes, immer und immer wieder beobachte ich meine Gedanken und übe, nicht auf ihren Inhalt einzugehen.

 

Aber noch ein paar Schritte zurück: zunächst begann ich mit einer Mischung aus einfach nur ruhig sitzen, ohne etwas zu tun, also im entspannten ursprünglichen Zustand zu verweilen, etwa zehn bis zwanzig Minuten lang. Dann folgten Achtsamkeitsübungen, z.B. achtsames Spazierengehen. Meine Gedanken beschrieben jeden Schritt einzeln „jetzt trete ich mit meinem rechten Fuß auf, mit der Ferse berühre ich zuerst den Boden, dann rolle ich langsam über den Mittelfuß ab, spüre den Übergang zu meinen Zehen, die dann den Schub für den nächsten Schritt einleiten und mich schließlich nach vorne schieben“...usw.

 

Es folgten alle Alltagsverrichtungen, ich übte und übte immer genau das zu tun, was ich in dem jeweiligen Moment tat und zwar nur das, ohne Gedanken, die sich auf eine Zeitebene bezogen, wie „ach jetzt muss ich auch noch diesen Topf abspülen, hätte ich ihn doch vorher eingeweicht, jetzt kostet mich diese Aktion extra viel Mühe und mein nächster Termin steht unmittelbar bevor“.

 

 

Die Befreiung, Gedanke für Gedanke

Inzwischen vergehen Tage an deren Ende ich manchmal denke „das war ja wieder einer der Tage, an denen ich so gut wie nichts gedacht habe“. Es macht mir mittlerweile große Freude, meine Gedanken aktiv zu regulieren, bzw. sie einfach wahrzunehmen und sie weiterziehen zu lassen. Das Denken dient einzig dazu, in der Gegenwart Herausforderungen in Lebendigkeit und innerer Freiheit anzunehmen, um an ihnen weiterhin zu wachsen.

 

 

Alte Gedankenmuster versus gewaltfreie Kommunikation mit mir selbst

Na klar, sie schleichen sich immer wieder ein, je intensiver mich alte Beziehungsmuster oder herausfordernde Begegnungen berühren, desto schneller und unmittelbarer bediene ich mich ganz automatisch alter Gedankenmuster, die dann wiederum zu emotionalen Abwärtsspiralen führen.

 

Also wende ich die gewaltfreie Kommunikation im Alltag im Gespräch mit mir selbst an. Ich beschimpfe mich nicht mehr, wenn mir irgendetwas, was ich mir vorgenommen habe nicht gelingt, bin mir nicht böse, wenn etwas Ungeschicktes geschieht, ich respektiere und achte mich genau so, wie ich in der jeweiligen Situation eben so bin. Inzwischen schmunzle ich meistens, wenn mir ein Missgeschick passiert und kommentiere es wenn überhaupt mit Humor, Beispiel als mir eine Weintraube hinunterfiel und sie zum anderen Zimmer weitergekullert war: „ach du gehst schonmal vor, das ist ja schön“.

 

Je souveräner wir die Verantwortung für unsere Gedanken und Gefühle übernehmen, desto gleichwürdiger kann der Umgang miteinander werden und desto seltener gleiten wir in Dramen ab.

 

 

 

Konkrete Anleitung bei „Gedankensalat“

Sobald ich mich unwohl fühle und mein Gehirn unangenehme Gedanken produziert und es bereits zu negativen Gefühlen als Reaktion auf die Gedanken kommt, mache ich folgendes:

 

Ich gehe in die Stille und nehme wahr: jeder Gedanke wird gezählt, immer wieder bis vier, dann wieder von eins an. Also ein Gedanke kommt „1“, da ist schon wieder einer „2“, ach herrje, da ist noch einer gleichzeitig aufgetaucht „3“ und der nächste „4“. Dann wieder von vorne. Ich mache nichts mit den Gedanken, beginne also keinen Dialog mit mir selbst.

 

Gibt es in meiner gegenwärtigen Erlebenswelt wirklich ein Problem zu lösen, so nehme ich mir dafür Zeit, habe ich sie gerade nicht, verschiebe ich die Herausforderung. Dann setze ich mein Denken aktiv ein, um mir Lösungsmöglichkeiten zu überlegen - von denen es meistens viel mehr gibt, als uns unsere Gedanken zunächst vorgaukeln.

 

Bild von Almeida auf Pixabay.com
Bild von Almeida auf Pixabay.com

Mehr und mehr werde ich zur Regisseurin meiner eigenen Erlebenswelt, werde klarer und auch für die Menschen, die mir nah sind nahbar und nachvollziehbar. Meine Persönlichkeit wird erkennbar, für mich selbst und die anderen, ich werde zu der Person, die ich bin und klinge durch mich selbst hindurch „per-sonare“: erschallen, wiederhallen, verkünden oder eben musikalisch ausgedrückt hindurchklingen.

 

Dieser Prozess erneuert sich lebenslang und wir erlangen das, was Jesper Juul das Selbstgefühl nennt: wir kennen uns selbst sehr genau, wissen, wie wir ticken, können uns regulieren und uns authentisch zeigen. Wir werden zu natürlichen Autoritäten im Fluss der Zeiten und des Wandels und wirken durch unser Sein.


 

Titelbild: iStockphoto.com / PeopleImages

 

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Familienberaterin Dorothée

Über die Autorin

Hallo, ich bin Dorothée. Ich berate im Team von online-familienberater.

 

Geboren bin ich 1962. Ich brenne besonders für Primärprävention und lebenslanges Lernen. Ausgebildet bin ich als Kindergärtnerin – Beziehung statt Erziehung und familylab-Semiarleiterin.

 

Mehrfach in meinem Leben habe ich Rollen verlassen, auch um transgenerationale Weitergabe von Traumata zu verhindern. Traumaheilung ist möglich, das durfte ich in meiner Familie erfahren. Heute habe ich große Freude daran mit ansteckender Gesundheit junge Familien zu begleiten.

 


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